Eine richtig schlechte Hexe

Luise seufzte.
Sie blies die Kerzen aus und besah sich noch einmal den Altar, den sie für dieses Ritual hergerichtet hatte.
Er sah – wie immer – wunderschön aus. Für jede Himmelsrichtung stand eine handgemachte Kerze in der richtigen Farbe und ein Repräsentant des Elements – Salz für die Erde im Norden, Wasser für den Westen, Räucherwerk für das Feuer im Süden und eine Feder für die Luft im Osten.
Einen Sinn für Ästhetik hatte Luise, auch ihr Haus war immer jahreszeitlich angepasst und wunderschön dekoriert. Eigentlich war sie eine glückliche Frau.

Mühsam stand sie auf und schlüpfte aus ihrer Ritualrobe XXXL.
Das war nicht einmal das Problem. Sie konnte damit leben, dass sie dick – ok, dass sie fett war. Nur ein Mensch machte ihr das Leben zur Hölle. Eine Kollegin auf der Arbeit.

„Dabei“, dachte Luise, „hab ich Berta niemals etwas getan. Ich hab ihr wirklich nichts getan, warum muss sie nur immer so gemein sein.“ Mit einem weiteren, tiefen Seufzen und dem starken Zweifel, dass ihr Harmoniezauber wirklich etwas bewirken würde, machte sich Luise daran aufzuräumen. Die Kinder würden bald aus der Schule kommen und sie musste das Mittagessen machen.

Der Vollmond nahm ab.
Luise natürlich nicht, obwohl sie sich auf der Arbeit nur traute an Möhren und Apfelschnitzen zu knabbern. Jedesmal wenn sie in ein normales Brötchen biss, sagte Berta etwas wie: ‚Kein Wunder, dass die fett ist – da sie isst schon wieder.‘

Luise war traurig, sie hatte so gehofft, dass der Zauber wirken würde und die Stimmung auf der Arbeit besser werden würde. Aber es war offensichtlich misslungen. Wie meistens. Sie war nicht wirklich eine gute Hexe. Das wusste sie. Sie war eine tolle Köchin, eine prima Bäckerin und eine treue Freundin – aber als Hexe versagte sie regelmäßig.

Doch als der Neumond verstrichen war und wieder zunahm, da geschah etwas, das Luise stutzen ließ.
Berta fing an fülliger zu wirken. Merkwürdig. Ziemlich bald konnten es alle sehen und Bertas entsetzte Erklärungen dazu hören. Etwas mit den Drüsen. Sie aß ja kaum etwas, nur 1000 Kalorien am Tag und machte viel Sport. Der Arzt, ja, der könne sich das auch nicht erklären.

An diesem Tag ging Luise, tief in Gedanken versunken, nach Hause.
Das Ritual hätte Harmonie bringen sollen, Ausgleich, Berta vielleicht etwas netter machen – doch kurz bevor Luise den Kreis aufgehoben hatte, war ein Gedanke durch ihren Kopf gegangen:
„Oh, komm schon Göttin. Wenn du mich nicht dünner machen kannst, kannst du dann sie fetter machen?“

Luise fing an ein Liedchen zu pfeifen – vielleicht war sie doch gar keine so schlechte Hexe.

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